Schubladen voller Schädel für die Forschung
HUNDE 7/2004 von Crista Niehus
Im Jahr 2004 feiert die Stiftung Albert Heim mit Sitz im Naturhistorischen Museum der Burgergemeinde von Bern ihr 75-jähriges Bestehen. Begonnen hatte damals alles mit der Hundeschädelsammlung von Prof. Theophil Studer. Heute ist diese Sammlung auf der Welt einzigartig und dient der wissenschaftlichen Forschung. Betreut wird sie vom Zoologen und Kurator Dr. Marc Nussbaumer.
Beim Eingang ins Museum steht in einer Vitrine das eindrückliche Präparat des legendären Barrys; jenes Bernhardiners, der von 1800 bis 1812 vielen Menschen in Schnee und Sturm den sicheren Weg ins Hospiz ermöglicht haben soll. Allerdings stellt er nicht das dar, was wir heutzutage unter einem Bernhardiner verstehen: Diese Tatsache zeigt auf, wie sich die Rasse in einer Zeitspanne von 200 Jahren entwickelt und gewandelt hat. Zur Besichtigung des grossen Sammelguts der Albert-Heim-Stiftung begibt man sich in den Keller des Museums. Doch: Die Hundeschädel liegen nicht etwas als Exponate in Vitrinen und sind jedermann zugänglich; nein, die Objekte werden hier bei Weinkeller-Temperaturen gelagert. «Leider fehlt es der Stiftung an den notwenigen finanziellen Mitteln, damit das Sammelgut so präsentiert werden kann, damit es vielen interessierten Besuchern gezeigt werden könnte», sagt Otto Rauch, Präsident der Stiftung, bedauernd. Da es sich um eine wissenschaftliche Sammlung handelt, sind die einzelnen Objekte fein säuberlich beschriftet, in schützendes Plastik verpackt und nach Hunderasse und Grösse sowie Eingangsdatum in Schubfächern sortiert. Neben etwa 2500 Schädeln von rund 200 verschiedenen Rassen wird die Sammlung durch etwas 200 Felle, 200 Skelette und vereinzelt auch Hunde-Präparate ergänzt. «Die Hundeschädel werden ausgemessen, registriert und via EDV erfasst», erklärt Marc Nussbaumer. Und: «Seit zwei Jahren werden zudem bereits bei der Sektion des Kadavers DNA-Analysen gemacht, damit wir die Wissenschaft auch mit genetischen Daten beliefern können.»
In erster Linie geht es bei der Forschung um die Entwicklung der einzelnen Rassen, Um die Wandlung seit der Domestikation. «Als Sammlerobjekt eignen sich natürlich nur die Schädel von Rassehunden, da es ja darum geht, deren Veränderungen innerhalb der Rasse zu vergleichen, was letztlich den Züchterinnen und Züchtern neue Erkenntnisse bringen soll. Bei Mischlingshunden sind diese Vergleiche gar nicht möglich», fährt der Kurator fort.
Datenaustausch mit Veterinärmedizinischen Fakultäten in ganz Europa
«Wir pflegen den Datenaustausch mit Veterinärmedizinischen Fakultäten in ganz Europa», sagt Marc Nussbaumer, «denn die Sammlung hat zwei Aspekte: Zum einen den kynologischen in Bezug auf den Rassewandel, und zum anderen den zoologisch-biologischen Aspekt, das heisst, Zoologen können aus der Sammlung ganz allgemeine Erkenntnisse für die Forschung gewinnen.»
Warum überhaupt Forschung am Hundeschädel? Der Hund hat wie kein anderes Tier die grösste innerartliche Variabilität, was sich nicht nur in der Körperform und -grösse manifestiert, sondern eben im Schädel. Nicht nur die Merkmale des heutigen Bernhardiners entsprechen nicht mehr denjenigen vom alten Barry, auch das Heranzüchten von bestimmen Eigenschaften – obwohl dies gelingen mag – kann leider Fehler mit sich bringen, an die vorher niemand gedacht hat. Durch die gezielte Selektion kann beispielsweise der Stop eines Gesichtsschädels verstärkt und der Oberkiefer gleichzeitig verkürzt werden – der Unterkiefer jedoch macht diese Entwicklung nicht gleichermassen mit, was einen Vorbiss zur Folge hat.
Auf die Frage, wie denn die Sammlung ausgebaut werde, erklärt Kurator Marc Nussbaumer: «Jeder, der bereit ist, den Kadaver seines Rassehundes der Stiftung zu überlassen, kann mithelfen.» So kann der eigene, einmal geliebte Hund nach seinem Tod der Gesundheit seiner künftigen Artgenossen und ganz allgemein der kynologischen Wissenschaft dienen.
«Es ist wichtig, dass wir den Hund möglichst schnell nach seinem Tod erhalten»; sagt Marc Nussbaumer. «Manche Besitzer bringen den toten Hund gleich selbst mit, da fällt mir auch die Aufgabe zu, etwas zur Linderung des Verlustes beizutragen. Viele dieser Begegnungen in all den Jahren waren eine grosse Bereicherung.»